Donnerstag, 19. Dezember 2019

Mein adventliches Warten auf den Messias (1)

Von Luise Rinser


Als ich Kind war, begannen am ersten Adventssonntag die "Engel-Ämter".  Warum sie so hießen und nicht wie anderswo "Rorate-Ämter" (Rorate coeli ...),  das weiß ich nicht,  aber das Wort Engel wob Geheimnis, und mir war die Anwesenheit von Engeln bei diesen frühen Gottesdiensten fühlbar. 

Die Messe begann um sechs.  Um halb sechs weckte mich mein Vater.  Die Mutter schlief weiter.  Vater hatte schon Feuer gemacht im Küchenherd, die Buchenscheite krachten.  Das Waschwasser war eiskalt. Frühstück gab's keines.   Im Backrohr lagen faustgroße Kieselsteine, die wir, wenn sie heiß waren, in unsere Manteltaschen steckten,  daran wärmten wir unsere Finger.

In der großen Kirche (in Übersee am Chiemsee) war's bitter kalt, geheizte Kirchen gab es damals nicht.  Vater, in Halbhandschuhen, spielte die Orgel.  Wir sangen  "Tauet Himmel, den Gerechten, Wolken, regnet ihn herab".  Vor den hohen Spitzbogenfenstern war's Nacht, entweder Schneegewölk oder das Firmament eisklar mit dem blaufunkelnden Hundsstern, dem Winterstern, und wenn wir um halb sieben aus der Kirche kamen, begann die Morgendämmerung, und es war noch kälter als zuvor, und der Schnee knirschte, oder der schneelos gefrorene Boden klang hohl und hart unter unseren Tritten.  

Schweigend zerstreuten sich die frühen Beter, viele von ihnen hatten weite Wege zu den abliegenden Gehöften.

Zweiter Teil folgt




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