Samstag, 12. Juli 2014

Apokalypse (Mt 24,15)

In der Kirche, dem aus dem 14. Jahrhundert stammenden Dom unserer Stadt, sind die Altarbilder beschmiert, die barocken Zierate abgeschlagen worden.  An den Wänden steht in großen Buchstaben einiges geschrieben, grobe Aufforderungen zu sexuellen Handlungen, zu vollziehen am Stadtpfarrer, am Bischof, an Jesus Christus selbst.  In den Kapellen liegen Kackhaufen, auf der Platte des Hochaltars Speisereste, offenbar hat dort eine Art von Liebesmahl stattgefunden, Wurst, Käse und Bier.  Es ist auch möglich, dass auf den Altarstufen junge Leute sich umarmt haben.  Zur Zeit ist die Kirche leer, die Portale stehen offen, durch die drei Schiffe fährt ein mächtiger Wind.  Die einzig stehengebliebene Statue, der während des letzten Krieges halbverbrannte Erlöser, schwankt in gespenstischer Ohnmacht hin und her.  Sein hölzerner Mund ist mit Lippenstift grellrot bemalt, auf seine Dornenkrone hat man rosane und grüne Lockenwickel gesteckt.

Dies schrieb vor viereinhalb Jahrzehnten Marie Luise Kaschnitz*.
Eine prophetische Vision   -    schon  HIER und heute  von der Realität überholt.






*Marie Luise Kaschnitz:  Im Dom.  In: Steht noch dahin. (Suhrkamp Vlg.)  1979,  S. 46

2 Kommentare:

  1. Vor kurzem ist bei euch die Kirche in St. Georgen geschändet worden, in Stuttgart wird fast schon regelmäßig Mariä Himmelfahrt mit obszönen Sprüchen "verziert".
    Die Zeichen mehren sich.

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