Montag, 6. Januar 2014

Wort und Schrift



Vidimus stellam eius in Oriente, et venimus cum muneribus
 adorare Dominum.
Matth. 2,2   -   Communio vom Fest der Erscheinung des Herrn



 Wer von der Schrift aus zum Vater oder zur Wahrheit oder zum lebendigen Geist durchdringen will, ist in einer ganz anderen Lage als der Angerufene durchs Wort:  er ist in der Lage der Magier, die aus den Sternen die Geburt eines Heilands zu lesen vermochten.  Den Hirten wurde der Anruf zuteil;  sie wurden vom Engel beschieden und mit Augenblickes Gewissheit erfüllt.  Die Magier aber mussten erst suchen;  keineswegs war da Gewissheit, vielmehr Ungewissheit, langer Weg, verschiedene Meinungen, Irrtum, Missverstehen als einzige Möglichkeit des Verstehens, langes Suchen.  Während es dort überhaupt auf Begreifen nicht ankam, nur auf Niederknieen und Folgen.
Alle hätten ihn sehen können, den Stern.  Es müssen ihn viele gesehen haben, aber wer hat ihn richtig verstanden ?  Wer ist ihm gleich über die Wüsten und Länder gefolgt ?  An Zeichen war niemals ein Mangel, aber an Folgern.  Ihr Ruhm ist, dass sie ihr Leben unterbrachen und das Zeichen als Zeichen erkannten.  Dass sie einsahen:  es war etwas der Art, dass es notwendig war, alles liegen und stehen zu lassen und gar nichts zu tun, als sich der Führung ins Ungewisse anzuvertraun.

Erhart Kästner:  Ölberge, Weinberge. Ein Griechenlandbuch.   Fischer-Bücherei  1961,  S. 141f

[Bildquelle: HIER]

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