Ehrwürden Johannes Beiderlinden mochte das den kurzen Weg auf das Münster zu bedenken, und sein Schritt wurde noch beschwingter, obschon sich ihm an der Mauerecke eine Sturmwolke entgegenwarf und soviel Schnee über ihn schüttete, als solle er mit der Albe angetan werden und gleich jetzt den Altar emporsteigen zum heiligen Dienst.
Eben vor der Kirchenpforte war er damit fertig, die Last abzuschlagen, um wieder in seinem schwarzen Mantel und Rock dazustehen, als er dort einen Bauernschlitten halten sah, einen ungefügen Kasten, der nur aus rohen Stämmen zusammengehauen schien. Zwei plumpe Gäule verdampften in den Strängen.
Ehe er das noch alles richtig gewahrt hatte, sah er sich schon von zwei Männern in langen Schafpelzen, mit hohen Lammfellmützen auf dem Kopf, umgeben. In der rauhen Sprache der Wald- und Bergbewohner des Landes im Süden der Stadt gingen sie ihn an: "Ehrwürden wollen geruhen einzusteigen - es gilt einer armen Kranken Beistand zu leisten!"
Einer Kranken? Einer, die allem Anscheine nach nicht zur Münsterpfarre gehörte, wiewohl sie sich bis weit nach draußen erstreckte und in die Dörfer griff? Diese Art hatte er in der großen Herde alle die Jahre niemals zu Gesicht bekommen. Das schoss dem Priester Johannes durch den Kopf. Und so wehrte er denn, an Erfahrungen reich geworden die lange Zeit des Raubens und aller Untagen, die noch immer nicht zu Ende schien:
"Da wäre doch erst ..."
Die Kerle standen ihm schon bedrohlich nahe. Durch die Schwärze ihrer Bärte funkelten ihn zwei Augenpaare an - auch im Schneewehen verging ihr Licht nicht - ihre Stimmen aber, obschon sie wie Laute von Bären aus dem Dickicht kamen, waren nicht eigentlich wild und verwegen, sonder mehr rauh und unbeholfen. Noch einmal hieß es:
"Ehrwürden ... zu einer armen Kranken ..."
"Wohl, wenn es Gottes Wille ist - aber da ist doch erst der Gang in die Kirche nötig, das wisst ihr ..."
Nichts sei nötig, und alles sei besorgt.
So knurrte es ihm Antwort. Als er sich aber dennoch anschickte, durch die halboffene Pforte zu entweichen - der Duft erster Kerzen schlug ihm schon warm entgegen - sah er sich gegriffen. Ehe er es hindern konnte, war er mit mehr Behutsamkeit, als er den beiden zugemutet hatte, in den Schlitten gehoben. Es war ihm auch aus unerklärlichen Gründen nicht möglich, den Mund zu einem Wort und Schrei aufzutun. Der eine seiner Diebe schlug auf die Gäule ein, dass sie davonholperten, der andere bewarf ihn mit einem Berg Decken und schickte sich an, als sie schon dahinsausten, ihn darin einzuhüllen, zwang auch seine Füße in ein Paar mit Stroh augelegte Holzschuhe riesigen Ausmaßes und hatte erst Ruhe, als er ihr Opfer versorgt wusste.
So saß nun Ehrwürden Johannes, der Anwärter auf die beste Pfründe im Lande, zwischen den beiden Unheimlichen in der warmen Gefangenschaft, indes der Schlitten ihn in ein Unbekanntes entführte. Bald lagen die letzten Häuser der Stadt hinter ihnen. Nun gab es keine Fenster mehr, die noch einen Lichtschein in die Nacht warfen. Sie tauchten im Schneegewirr und in der Finsternis so völlig unter, dass dem Priester nicht einmal die Richtung deutlich wurde, die sie nahmen. Es war ihm auch kaum möglich, seine gewalttätigen Fahrer zu befragen, denn der Sturm nahm ihm immer wieder das Wort aus dem Munde.
Es war, als hätten sie ein Dorf durcheilt, ein zweites wohl auch. "Wie weit ist es noch bis zu eurer Kranken?" so gelang es ihm endlich zu fragen, als sie nach zwei Stunden irgendwo an einer Scheune oder einem Stall hielten.
Fortsetzung folgt!
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