Samstag, 10. Dezember 2016

Aesop und die Willkommenskultur

Große Literatur ist unsterblich, weil zeitlos gültig und aktuell.
So hat altmod kürzlich einige aktualisierende Betrachtungen (HIER) an Goethes Zauberlehrling geknüpft.

Aesop und der Fuchs

Warum aber sollte obengenanntes Qualitätsmerkmal nicht auch auf ein gemeinhin eher als zweitklassig geltendes Genus wie die Fabeldichtung zutreffen?
 
Da stieß ich letztens mit meinem Oberstufen-Lektürekurs wieder einmal auf eine Tierfabel, die auf Aesop (6. Jhd. v. Chr.)  zurückgeht und die ich in der lateinischen Nachdichtung von Phaedrus (LINK) hiermit vorstelle  (I 19: Canis parturiens, übers. v. Eduard Saenger):



Als eine Hündin werfen wollte, bat sie
um Obdach eine andre; die gewährte
ihr gern die Hütte.  Als sie sie nachher
zurückverlangte, bat die Mutter: "Lass mir
noch kurze Frist, bis meine Jungen laufen!"
Als es soweit war und die andre drängte,
sprach sie:"Jetzt musst du mich und meine Brut
im Kampf bestehn, sonst weich ich nicht vom Fleck."

Bei dem Promythion, der "Lehre", die Phaedrus seiner Fabel voranstellt:

Des Bösen Schmeichelwort birgt stets Gefahr.
Hört nicht darauf, euch warnen diese Zeilen!

findet allerdings der Aktualitätsbezug seine Grenzen.  Denn was heute, im 21. Jahrhundert, "stets Gefahr birgt", ist wohl kaum "des Bösen Schmeichelwort", sondern einzig und allein ein debil-suizidales Gutmenschentum, unterstützt von einer soliden Meinungsdiktatur.




Für die Freunde und Kenner des Lateinischen hier das Original:

Habent insidias hominis blanditiae mali:
quas ut vitemus, versus subiecti monent.
Canis parturiens cum rogasset alteram,
 ut fetus in eius tugurio deponeret,
facile impetravit:  dein reposcenti locum
preces admovit tempus exorans breve,
dum firmiores posset catulos ducere.
Hoc quoque consumpto flagitare validius
cubile coepit.  "Si mihi et turbae meae
par" inquit "esse potueris, cedam loco."



2 Kommentare:

  1. Aber Hallo. Seit wann sind Fabeln zweitklassig? Als Autorin fabelhafter Geschichten möchte ich nur kurz auf die fabulösen Umsatzzahlen von Micky Mouse oder Donald Duck verweisen. Dagegen sind die Realgeschichten von Herrn Asterix ein Nichts, ein gar Nichts. So!

    Anni Freiburgbärin von Huflattich
    – Fabelerfinderin –

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    1. ... äh ... nehme hiermit alles zurück und behaupte reumütig das Gegenteil ...;-)

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